Ein Treffen mit Freunden
Erinnerungen an Volker Kriegel (1943-2003) Von Karl Lippegaus
Seine erste Platte kam 1968 heraus und hieß "With A Little Help From My Friends" Bei einem Jazzfestival in Düsseldorf hatte er fünf Jahre vorher einen Amateurwettbewerb gewonnen und mit dem amerikanischen Vibraphonisten Dave Pike von 1969-´72 eine Band formiert, deren Musik noch viele Jahre nachhallte. Einen Freundeskreis scharte der Gitarrist und Zeichner aus der Frankfurter Jazzkeller-Schule immer um sich, wenn er wieder ein neues Album eingespielte. So auch am 8. November 1981, als er in Berlin ein Konzert unter dem Titel Volker Kriegel & Friends präsentierte. Dafür wählte Kriegel vor allem neue Stücke aus, die er für sein Soloalbum "Journal" (Mood Records) im August im Tonstudio Zuckerfabrik in Stuttgart aufgenommen hatte; nur "Chateau Sentimental" stammte aus der ´78er Platte "House-Boat". Den Kern von "Journal" bildete Kriegels damalige Wunschband, die er im Berliner ‚Metropol' einem begeisterten Publikum vorstellte. Als das durchweg junge Publikum minutenlang nach einer weiteren Zugabe verlangte, kam der Gitarrist zum ersten Mal persönlich ans Mikrofon und erklärte: "Wir sind eine Gelegenheitskapelle für diesen Abend. Wir haben nur dieses Repertoire drauf und das isses."
Das mit der "Gelegenheitskapelle" war natürlich ironisch gemeint. Den Motor bildete der Kern des Mild Maniac Orchestra, mit Kriegel an der Gitarre und Thomas Bettermann aus Dortmund an einem ganzen Arsenal von Keyboards. Dazu kamen drei Musiker, für die der Darmstädter seit Jahren eine besondere Bewunderung hegte. Dass es ihm viel Spaß machte, mal aus der stark auskomponierten Musik des MMO in entspanntere Jazz-Gefilde abzudriften und seinen Freunden viel Freiraum zu gewähren, wurde bald klar. "Chateau Sentimental" und "Schwebebahn" gerieten doppelt und dreimal so lang wie die Studiofassungen, nicht zuletzt wegen der sanften Power der Rhythmusgruppe. Der laut Kriegel "ehrenwerte" Eberhard Weber war in seiner ersten Band Spectrum dabei gewesen und hatte beträchtlichen Anteil an seinen Platten für das MPS-Label: "Inside: Missing Link" (1972), "Lift!" (1973) sowie "Mild Maniac" (1974). Weber war als phänomenaler E-Bassist, mit einem soliden Background in Klassik und Jazz, der ideale Gegenpol für Kriegel. Dem sieht man den Autodidakten sofort an, wenn man endlich mal aus der Nähe sieht und nicht nur hört, wie er mit zwei Fingern wie eine Krabbe leicht seitwärts übers Griffbrett läuft, nur gelegentlich den Ringfinger einsetzend und den kleinen oft gleichsam versteckend. Die seltsame Grifftechnik rückte ihn in die Nähe Django Reinhardts, der nach einem schweren Unfall eine ebenfalls sehr eigenartige 2-3-Fingertechnik erfand. Wie aus solch verrückten Verrenkungen so melodiöse Musik und wunderbare Harmonien à la Edu Lobo, den von Kriegel verehrten Brasilianer entstehen konnten, blieb sein Geheimnis.
Nun zu den anderen Herren aus dem Freundeskreis. Der fand sich in Berlin auf einer mit Kisten und Kästen so vollgestellten Bühne wieder, dass es wie eine Installation aussah, über die Christo nur noch ein großes Tuch hätte werfen brauchen. Auf sechs der neun Stücke von "Journal" (Mood, 1981) ertönt das Vibraphon von Wolfgang Schlüter aus Hamburg, geradezu zärtlich in "Naura", der Widmung Kriegels an einen weiteren Freund, den Musiker und NDR-Jazzredakteur Michael Naura. Mich hatte man damals eingeladen, den Ansager zu spielen und ich erinnere mich gut daran, wie begeistert alle vor, auf und hinter der Bühne von Schlüters Klöppelkunst waren. Zu "Wolfgang S." hatte Kriegel wie zu Weber eine besonders innige Beziehung. Wie er 1978 im Text zu "House-Boat" schrieb: "Der Plan, mit ihm mal eine Platte zu machen, hat schon einige Jährchen auf dem Buckel." Doch Schlüter war viele Jahre fest engagiert beim NDR in Hamburg und Kriegel häufig unterwegs mit dem Mild Maniac Orchestra - in Berlin war es endlich soweit. Zu den ‚Maniacs' gehörte ab 1976 der bereits erwähnte Tastenmann Thomas Bettermann an Fender Rhodes, Mini-Moog, Yamaha-Piano usw., der mit dem Gitarristen in zehn Jahren acht Alben machte. Obwohl Volker Kriegel oft als ein deutscher Jazzrocker der ersten Stunde angesehen wird und stets offen für alles Neue auf dem Post-Fusion-Sektor war, vergessen viele seine Lehrjahre im Frankfurter Jazzkeller. Nach Berlin lud er keinen lauten Rockdrummer ein und der MMO-Funk blieb auch im Schrank, sondern den eher an der subtilen Kunst eines Paul Motian geschulten Musikers Ralf Hübner. Der hatte sich in Albert Mangelsdorffs legendärem Quintett jenes Können angeeignet, das ihn laut Kriegel als "einen Feinmechaniker aus der Jazzabteilung" auswies. Hübner ist übrigens auch auf Eberhard Webers bahnbrechendem Soloalbum "The Colours of Chloë" (ECM, 1973) zu hören.
Das Konzert im ‚Metropol' beginnt mit dem atmosphärischen "Calcador", für das Kriegels so genannte Sitar-Gitarre zum Einsatz kommt, die ihm vermutlich sein Freund Peter Coura gebaut hatte Danach steigt er um auf die Gitarre, die für den typischen Kriegel-Sound steht und nachgerade erstaunliche Parallelen zu Pat Metheny und John Scofield enthüllt. Die modal angelegten neuen Stücke spinnen jedoch eher den Faden weiter, den Miles Davis auf "Kind Of Blue" entrollte. Schlüter verbiegt zuerst seine Klöppel, um sehr gedämpfte Töne beizusteuern und hält sich lange zurück, bis er in ein so brillantes Solo verfällt, das die Zuhörer am Ende heftig applaudieren. Diese angebliche "Gelegenheitskapelle" hatte fleißig geprobt, man hört's. Diese Ad-hoc-Formation kann sogar - auch dank Wolfgang Schlüter - mit dem Gary Burton Quartet plus Eberhard Weber des Albums "Ring" (ECM, 1974) konkurrieren. Volker Kriegel dachte sich das Berliner Konzert als einen langen, ununterbrochenen Set und gibt minimale Anweisungen, manchmal nur durch einen Blick oder einen kurz erhobenen Daumen, immer voll konzentriert auf das Geschehen. Die Musik ist schwieriger als sie klingt, expressiver als es der introvertierte Gestus des Leaders suggeriert und bewegt sich oft in jenem tagträumerischen Feeling, das der nachdenkliche Tüftler Kriegel besonders liebte: "Schwebebahn" heißt eines der zentralen Stücke, das diese Stimmung in nur einem Wort zusammenfasst. Ruhige, schwebende Klänge, filmmusik-ähnliche Sequenzen, kunstvoll überlagert, virtuos in swingende Soli mündend und wieder weit ausschwingend in eine leicht melancholische Grundstimmung mit jener unterschwelligen, leisen Vergnüglichkeit, die alles von Volker Kriegel - ob Musik, Wort- oder Zeichenkunst - so unverwechselbar machte.